Lübecks Nobelpreisträger stellen sich vor

Nobelpreisverdächtig in Lübeck

Lübeck hat mit nur rund 220.000 Einwohnern eine erstaunlich große Zahl an Nobelpreisträgern hervorgebracht, die auf sehr unterschiedliche Weise ihren bedeutenden Beitrag zur Kultur, Politik und Gesellschaft in Deutschland und über die Grenzen hinaus geleistet haben. Das Leben und Werk von Thomas Mann, Günter Grass und Willy Brandt inspirieren bis heute. Alle drei Persönlichkeiten sind eng mit der Stadt verbunden. Ihre Werke und ihr Schaffen sind in den drei ihnen gewidmeten Museumshäusern in der Lübecker Altstadt erlebbar und nachvollziehbar. Die drei Einrichtungen verstehen sich als Orte der lebendigen Auseinandersetzung mit ihrem Wirken. Neben den Dauerausstellungen laden thematische Expositionen, Konzerte oder Diskussionsreihen ein, die Arbeit dieser ausgezeichneten Lübecker in neuen Kontexten zu erfahren und zu bewerten.

Thomas

Thomas Mann setzte seiner Heimatstadt 1901 mit seinem Roman „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ ein literarisches Denkmal! Das stolze Patriziergeschlecht der Buddenbrooks, im Getreidehandel zu Geld und Macht gelangt, wird binnen dreier Generationen fast vollständig ausgelöscht. Für seinen Jahrhundertroman wurde er 1929 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Nicht jeder Lübecker und jede Lübeckerin war damals jedoch glücklich über dieses Werk, denn so manche „Ähnlichkeit mit lebenden Personen“ geriet wenig schmeichelhaft. In Kreisen von Geschäftsleuten wurde der junge Schriftsteller als Nestbeschmutzer beschimpft, entfernte Verwandte schalteten sogar Zeitungsanzeigen, in denen sie sich von ihm als Familienmitglied distanzierten. Heute ist man in Lübeck sehr stolz auf den Literaturnobelpreisträger. Die große Bedeutung von Thomas und Heinrich Mann und weiterer Mitglieder der Familie lässt sich daran ablesen, dass das historische Buddenbrookhaus derzeit umgebaut und deutlich erweitert wird. Bis 2028 ist die Interimsausstellung "Buddenbrooks im Behnhaus" neues Ziel für Mann-Begeisterte aus aller Welt.

Es ist mein Ehrgeiz, nachzuweisen, dass Lübeck als Stadt, als Stadtbild und Stadtcharakter, als Landschaft, Sprache, Architektur durchaus nicht nur in „Buddenbrooks“, deren unverleugneten Hintergrund es bildet, seine Rolle spielt, sondern dass es von Anfang bis zu Ende in meiner ganzen Schriftstellerei zu finden ist, sie entscheidend bestimmt und beherrscht.
Thomas Mann, "Lübeck als geistige Lebensform“ (1926)
Willy

Aus dem gebürtigen Herbert Ernst Karl Frahm wurde Willy Brandt – SPD-Politiker, ehemaliger Regierender Bürgermeister in Berlin, Bundeskanzler, engagierter Europäer, Kämpfer für die Aussöhnung zwischen Ost und West und Friedensnobelpreisträger. Ein Bild, das sich in das kollektive Gedächtnis der Menschen weltweit eingebrannt hat, ist der denkwürdige Kniefall Brandts am Denkmal des Warschauer Ghettos vor 50 Jahren. Aufgewachsen ist Brandt als Arbeiterkind im Lübecker Stadtteil St. Lorenz Süd. Er blieb seiner Geburtsstadt lebenslang verbunden. 1971 wurde Willy Brandt für seine Ostpolitik der Friedensnobelpreis verliehen, ein Jahr später die Ehrenbürgerschaft der Stadt Lübeck. Spannend inszeniert, multimedial, interaktiv – im Willy-Brandt-Haus lässt sich mehr über dessen politisches Leben und die wechselvolle Geschichte Deutschlands und Europas, aber auch über die Atmosphäre in Gesellschaft und Politik und das Lebensgefühl in der damaligen Bundesrepublik Deutschland erfahren.

Meine lübschen Wurzeln steckten ja eindeutig im Milieu der Arbeiterbewegung, nicht in der Tradition der alten Familien. Aber es gibt keine Zweifel, dass die Geschichte der ‚Stadt mit den sieben Türmen‘ auch einen Menschen meiner Art geprägt hat, der aus der Sicht der alten Familien aus dem Nichts kam – oder aus dem Chaos?
Willy Brandt, „Links und frei“ (1982)
Günter

„Thomas Mann, Danzig und Willy Brandt“, so lautete Günter Grass' Antwort auf die Frage, warum er sich 1987 in Lübeck niederließ. Die Hansestadt war für ihn eine Art Ersatzheimat für seine Geburtsstadt Danzig, dem heutigen Gdansk, die er mit 17 Jahren verlassen musste. Die literarische Nähe zu Thomas Mann und zum Buddenbrookhaus inspirierte ihn, vor allem aber war die Verbundenheit zu seinem alten Freund und Weggefährten Willy Brandt ein wichtiger Beweggrund, sich für Lübeck zu entscheiden. Günter Grass war Schriftsteller, Grafiker und Bildhauer zugleich und erhielt 1999 den Literaturnobelpreis für sein Lebenswerk. Seinem Leben und Werk gewidmet ist das seit 2002 bestehende Museum, das sich als ein Forum für Literatur und bildende Kunst versteht. Hier lassen sich der künstlerische Schaffensprozess des Autors und seine Sprach- und Bildwelten aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln erleben. Der detailreich und liebevoll gestaltete Kolonialwarenladen im Eingang zum Museum erinnert an Grass' Roman "Die Blechtrommel" ebenso wie an das elterliche Geschäft im damaligen Danzig.

Wer dauernd Endgültiges zu sagen bemüht ist, der kommt über Platitüden nicht hinaus.
Günter Grass